Inhaltsübersicht
Klassische familientherapeutische Ansätze und ihre Bedeutung für die heutige Systemische Therapie
Systemtheorie und Theorie sozialer Systeme
Systemische Psychotherapie - Theorie und Praxis komplexer Systeme
Personzentrierte Systemtheorie
Neuere Entwicklungen und Trends in Systemischer Therapie
Systemische (Psychotherapie)Forschung
Diagnostik in der Systemischen Therapie
Systemische Prozessgestaltung durch Auftragsklärung mit Zielearbeit
Grafische Systemdarstellungen – Visualisierung familiärer und sozialer Netzwerke
Kommunikationsformen und Frageinterventionen in der Systemischen Therapie
Systemaufstellungen – Veränderungsprozesse im Raum
Settings der Systemischen Psychotherapie – vom ganzen Dorf bis zur Einzeltherapie
Psychotische Störungen/Schizophrenie
Affektive Störungen: Depressive Episoden, rezidivierende depressive Störungen, Dysthymie
Systemische Therapie und Traumafolgestörungen
Somatoforme und Dissoziative Störungen
Systemische Sexualtherapie – Über Lust und Unlust, sexuelles Begehren und Wachstum
Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Klassische familientherapeutische Ansätze und ihre Bedeutung für die heutige Systemische Therapie
Dieses Kapitel soll Sie mit zentralen klassischen Konzepten vertraut machen. Dabei geht es nicht nur um die wesentlichen Konzepte selbst, sondern auch um ihren Beitrag und den Nutzen für die heutige Systemische Therapie. Letztlich sollen Sie am Ende auch kurz charakterisieren können, was diese Ansätze jeweils für die Gestaltung der therapeutischen Beziehung bedeuten.
Systemtheorie und Theorie sozialer Systeme
Systemisch zu therapieren und zu beraten impliziert ein systemtheoretisches Verständnis derjenigen Phänomene, die den Gegenstandsbereich von Therapie und Beratung bilden. Systemtheorie ist dabei die übergeordnete Bezeichnung für eine Mehrzahl durchaus unterschiedlicher Betrachtungsweisen, die allerdings sämtlich das Ziel verfolgen, komplexe Einheiten in ihren Funktionsweisen zu beschreiben und zu erklären. Aufgrund des Abstraktionsgrads der Theorien ist es in der Regel möglich, sehr unterschiedliche Sorten solcher komplexen Einheiten mit den gleichen Konzepten zu behandeln: Ihr Erklärungsanspruch reicht insofern von der biologischen Zelle, oder den Atomen, aus denen diese besteht, bis hin zur Weltgesellschaft als dem umfassenden sozialen Gebilde (von der aus gesehen die biologische Zelle und die Atome wiederum als Umwelt beschrieben werden müssten). Unter einem System lassen sich also sehr heterogene Phänomene beschreiben: Gehirne, Bewusstsein, Familien, Organisationen wie etwa Schulen, Rundfunkanstalten, Psychiatrien, Sportvereine oder Unternehmen, aber auch die Gesellschaft im Ganzen als die sozial umfassende Einheit können nach dieser Logik unter denselben Begriff gebracht und mit im Wesentlichen identischen Konzepten beschrieben werden. Insofern ist das Paradigma besonders dazu geeignet, Wissensbestände aus verschiedenen Disziplinen zu integrieren und auf dieser Ebene zu validieren. Umgekehrt gibt es aber auch heterogene, teils widersprüchliche Systemtheorien mit konkurrierenden Definitionen und Begriffen sowie eine Geschichte des Paradigmas, in der in durchaus sehr unterschiedlichen Kontexten entstandene Ansätze später aufeinander bezogen und auch interdisziplinär kontaktfähig wurden. Ungeachtet dieser Vielzahl verschiedenartiger Ansätze lassen sich doch zentrale Begriffe destillieren, die für systemtheoretisches Denken im Allgemeinen stehen. Dieses Kapitel soll einige dieser Begriffe erläutern und insbesondere ausgehend von der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns mögliche Konsequenzen für Systemische Therapie und Beratung diskutieren.
Systemische Psychotherapie - Theorie und Praxis komplexer Systeme
Dieser Beitrag beschreibt systemische Psychotherapie als transkonfessionellen (schulenübergreifenden) Ansatz vor dem Hintergrund der Theorien komplexer dynamischer Systeme (insbesondere der Synergetik und der Chaostheorie). Die hierfür notwendigen professionellen Kompetenzen sind in den Dimensionen der Systemkompetenz enthalten. Psychotherapie bedeutet in einem systemischen Grundverständnis die Förderung von Selbstorganisationsprozessen in bio-psycho-sozialen Systemen, die sich meist in Form von Ordnungsübergängen (qualitativen Musterwechseln) ereignen. Während dabei die Interventionen frei wählbar sind (im Sinne eines therapeutischen Eklektizismus, allerdings in Auswahl und Kombination mit den Heuristiken der generischen Prinzipien systemisch begründet), ist der theoretische Rahmen, die Fallkonzeption (idiographische Systemmodellierung), das Prozessfeedback (Synergetisches Navigationssystem) und die kooperative Begründung des Vorgehens (shared decision making) spezifisch systemisch. Ein Fallbeispiel illustriert das Vorgehen.
Personzentrierte Systemtheorie
Die Personzentrierte Systemtheorie widmet sich Fragen und Phänomenen, die für den klinisch-therapeutischen Alltag typisch sind. Besonders herausfordernd ist hierbei die Gleichzeitigkeit sehr vieler Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen. Um das Erleben und Handeln eines Menschen – oder Paares bzw. Familie – zu verstehen, müssen nicht nur die psychischen Prozesse wie Gedanken und Gefühle, Wahrnehmungen etc. berücksichtigt werden. Und es reicht auch nicht, ergänzend (oder gar nur) die interpersonellen Prozesse mit heranzuziehen. Sondern es muss ebenso beachtet werden, dass die Gedanken, Metaphern, Erklärungsprinzipien etc. nicht alle von den beteiligten Personen erfunden wurden, sondern bereits in unserer Kultur vorliegen. Und letztlich wird das Geschehen auch durch Affekte, Bedürfnisse – kurz: körperliche Prozesse – der Menschen beeinflusst.
Systemtheorie und Embodiment
In diesem Kapitel geht es um die Rolle des Körpers in der Systemischen Psychotherapie. Aus der Perspektive systemisch-orientierter Erkenntnistheorien ist die klassische Aufteilung in Körper und Geist nicht sinnvoll. Anhand der Theorie des Enaktivismus wird ein alternatives Modell eingeführt, in dem der Interaktion des lebendigen Körpers in und mit seiner Umwelt eine zentrale Rolle eingeräumt wird. Bewusstsein, Denken und Kognitionen sind untrennbar an diese Organismus-Umwelt-Interaktion gebunden und dies wird mit dem Begriff der Verkörperung („embodiment“) beschrieben. Das 4E-Modell der situierten (verkörperten) Kognitionen wird an Beispielen und empirischen Arbeiten erläutert.
Neuere Entwicklungen und Trends in Systemischer Therapie
Lernziel des Beitrags ist es, dafür zu sensibilisieren, dass Systemische Therapie ein dynamisches Verfahren ist, das weiterhin große Ausbreitung erfährt, und dementsprechend qualitative und quantitative Indikatoren hierfür sowie die damit potenziell verknüpften Spannungsfelder kennenzulernen.
Systemische (Psychotherapie)Forschung
Der Beitrag soll verdeutlichen, dass ein systemisches Verständnis von Psychotherapieforschung sich nicht auf kontrollierte Wirksamkeitsforschung eingrenzen lässt – wenngleich es diese auch umfasst. Zudem soll er Forschungsperspektiven skizzieren, die mit den beiden erkenntnistheoretischen Standbeinen des systemischen Ansatzes, nämlich Systemtheorie und Konstruktivismus vereinbar, aus diesen ableitbar und verstehbar sind. Diese Forschungsperspektiven sollen zudem sowohl mittels methodischer und methodologischer sowie theoretischer Aspekte konkretisiert werden. Da der systemische Ansatz sich vor allem in der Praxis seiner vielfältigen Anwendungsfelder sowie in außeruniversitären Fort-, Aus- und Weiterbildungsinstituten entwickelt hat und Systemiker*innen vor allem in dieser Praxis anzutreffen sind, soll die Perspektive eines Systemic-practitioner-research-Ansatzes skizziert und nachvollzogen werden.
Diagnostik in der Systemischen Therapie
Die Diagnostik sozialer Systeme wird bedeutsam, wenn es um die Entstehung, Aufrechterhaltung und Veränderung funktionaler sowie dysfunktionaler Beziehungsmuster innerhalb dieser sozialen Systeme als auch deren Wirkung auf sie umgebende andere soziale Systeme geht. In der Systemischen Therapie ist der Übergang von Diagnostik und Intervention fließend. In diesem Beitrag widmen wir uns mit dem 3-Ebenen-Modell einem Orientierungsrahmen für die Systemdiagnostik. Praxeologische Anwendungen umfassen Prozessmodelle sowie Ratingskalen, Fragebögen und Interviewverfahren. Ausführliche Zusatzmaterialien stellen vertiefte Einblicke dar. In einem Interview berichten die beiden Autor*innen über ihren Weg mit der Diagnostik in der Systemischen Therapie, besondere Begegnungen, Vorbilder und ein Leben, Lieben und Arbeiten im Spannungsfeld einer systemtherapeutischen Diagnostik sowie Diagnostik von Systemen.
Systemische Prozessgestaltung durch Auftragsklärung mit Zielearbeit
Bei Systemischer Therapie geht es im Kern um die Gestaltung von Prozessen, die Klient/ innen dazu anregen, neue Möglichkeiten zu entwickeln und zu nutzen. Therapeutisch gilt es bei komplexen Systemen, die von außen nicht zielgerichtet instruiert werden können, neue System-Umwelt-Arrangements zu entwerfen, die Strukturveränderungen des Klientensystems anregen und dadurch wünschenswerte Entwicklungen wahrscheinlicher machen. Dabei wird an bestehenden Ordnungen und Mustern angeknüpft und es werden relevante Phasenübergänge identifziert, die therapeutisch begleitet werden. Potenzielle Veränderungen werden dabei von Menschen oft als ambivalent erlebt und es fällt ihnen nicht leicht, sich, selbst von Schmerzhaftem, fortzuentwickeln. Über systemische Prozessgestaltung kann durch Auftragsklärung und Zielearbeit ein Sicherheit gebender Therapierahmen kreiert werden, der Komplexität reduziert, Orientierung bietet und es dem Klientensystem zugleich ermöglicht, auch Unsicherheit zuzulassen. Dadurch können neue Erfahrungen gemacht und Veränderungen angestoßen werden.
Hypothetisieren, Triangulieren und Reflektieren – Basisinterventionen systemischer Psychotherapie zur Förderung von Selbstorganisation
Vor 40 Jahren erschien der bahnbrechende Beitrag der Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli: „Hypothetisieren – Zirkularität – Neutralität: drei Richtlinien für den Leiter der Sitzung“ (Palazzoli et al. 1981) und richtete damit eine revolutionäre neue Perspektive auf die Haltung und den professionellen Umgang eines:r Therapeuten:in in der Begegnung mit dem:r Patienten:in. Schaut man heute auf die Grundpfeiler systemischer Interventionen, dann sind es damals wie heute insbesondere die Bildung von systemischen Hypothesen als Ausdruck individueller und subjektiver Wirklichkeitskonstruktionen bei der Erfassung scheinbar objektiver Realität. Der Fokus liegt dabei auf der Betrachtung interpersonaler Beziehungsräume als ein Raum des Dazwischens und als Grundlage sowie Ausdruck sozialer Wechselwirkungsprozesse im Gegensatz zu festen Zuschreibungen von Eigenschaften.
Grafische Systemdarstellungen – Visualisierung familiärer und sozialer Netzwerke
Vielfältige grafische Methoden ermöglichen Systemischen Therapeut*innen eine systematische Darstellung der sozialen Netzwerke, der sozialen Beziehungen und der Familienstrukturen. Diese Methoden ermöglichen einen Überblick über die mehrgenerationalen und aktuellen ökosozialen Bedingungskonstellationen.
Kommunikationsformen und Frageinterventionen in der Systemischen Therapie
Der/die Leser:in lernt, kommunikative Einladungen in redundante Muster zu erkennen und diese, wo nützlich, zu unterbrechen. Es werden Spielräume unterschiedsbildender Kommunikation eröffnet und mithilfe systemischer Fragen die Praxis therapeutischer Neugier erfahrbar.
Systemaufstellungen – Veränderungsprozesse im Raum
Systemaufstellungen sind ein Verfahren der systemischen Therapie und populär, sodass sie selbst im Tatort zur besten Sendezeit in einer ihrer Varianten in Szene gesetzt werden. Wie hier auf dem Bild versucht der Schauspieler Ulrich Tukur als Kommissar Murot im Tatort „Das Prinzip Hoffnung“ (21. Nov. 2021 auf „Das Erste“) damit einen Fall zu lösen und die an der Interaktion des Falls beteiligten Personen im Kontext ihrer Familiendynamik zu verstehen.
Settings der Systemischen Psychotherapie – vom ganzen Dorf bis zur Einzeltherapie
In diesem Kapitel werden die unterschiedlichen Settings der Systemischen Psychotherapie vorgestellt und näher beleuchtet. Was ist das Spezifische an den Settings und was ist beim methodischen Vorgehen zu beachten? Wann macht ein Settingwechsel Sinn und inwiefern kann ein solcher bereits als eigenständige Intervention betrachtet werden? Diesen und weiteren Fragen soll im Kapitel nachgegangen werden.
Psychotische Störungen/Schizophrenie
Psychotische Störungen und Störungen des schizophrenen Formenkreises gelten vielen Fachleuten als Erkrankungen des Gehirns, die folglich pharmakotherapeutisch zu behandeln seien. Psychotherapie bleibt vielen betroffenen Menschen deswegen oft verwehrt. In diesem Kapitel wird hingegen gezeigt, wie in psychosozialen Therapieansätzen und in der Systemischen Therapie psychotisches Erleben früh zur Sprache gebracht und verstanden werden kann. Zusammenhänge zwischen Symptomen und Lebensereignissen, deren Bewertungen und Verarbeitungen sowie den sozialen Folgen der ersten Symptome werden aufgezeigt. Es wird aber auch gezeigt, dass Systemische Ansätze sich zur Behandlung sogenannter chronischer Verläufe eignen.
Affektive Störungen: Depressive Episoden, rezidivierende depressive Störungen, Dysthymie
Prägend war für mich von Anfang die parallele klinische und wissenschaftliche Weiter- bzw. Ausbildung in zwei Verfahren (Systemische Therapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), die mir die kritische Reflexion von konzeptionellen Annahmen und konkreten Interventionen der jeweiligen Ansätze ermöglicht und mein integratives Denken und Handeln gefördert hat. Meine Ausbildung in Systemischer Therapie habe ich am Helm Stierlin Institut (HSI) in Heidelberg durchlaufen und dort insbesondere von den multiprofessionell zusammengestellten Kursen profitiert (etwas, was für künftige Generationen aufgrund der separaten Approbationsausbildungen aktiv zu suchen sein wird). Dieser Rahmen hat es mir maßgeblich ermöglicht, Fälle aus entwicklungsorientierter Perspektive zu kontextualisieren (beispielsweise zur Frage, welchen Beitrag Helfersysteme der Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie quasi in Form einer Gemeinschaftsleistung hin zu einer bezogenen Individuation von Jugendlichen leisten können). Im Weiteren habe ich mir dann gezielt therapeutische Kontexte und Kulturen gesucht, die diese Kompetenzentwicklung weiter gefördert haben (beispielsweise Soteria Bern oder Schnittstellenarbeit im psychosomatischen Konsildienst in der stationären Versorgung).
Angst- und Zwangsstörungen
Angst- und Zwangsstörungen gehören zu den häufigsten mentalen Störungen. Sie kommen selten allein sondern erscheinen häufig mit Begleitbeschwerden. Unbehandelt können sich gravierende psychosoziale Folgen für die von Angstund Zwangsstörungen betroffenen sozialen Systeme ergeben. widmen wir uns der Fallkonzeption der Angst- und Zwangsstörungen vor dem Hintergrund ihrer Diagnostik bis hin zu einem systemtherapeutischen Störungsverständnis. Praxeologische Anwendungen umfassen vielfältige Therapieoptionen. Wir schließen unsere Ausführungen mit einem praxisnahen Fallbeispiel.
Systemische Therapie und Traumafolgestörungen
Traumatherapeutisch ist nicht das Trauma oder das traumatische Ereignis bedeutsam, sondern die Traumafolgestörung (siehe weiter unten IDC 11). Die Therapie will dann eine Symptomfreiheit oder eine Symptomreduktion anstreben und das System aus der traumatischen Starre befreien. Außerdem ist ein traumasensibler Umgang bei Klienten, Klientinnen und ihren Familien sinnvoll (siehe Fallbeispiel).
Somatoforme und Dissoziative Störungen
„Wem soll ich traun? Mir selbst?
Der Welt dort draußen?
Ich weiß nur, was mein Körper mir erzählt
von ihr,
Was Nerv um Nerv mir übersetzt in
Schrift. Zu Hause
Bin ich nur Hier: in meiner Haut.“
(Durs Grünbein „Vom Schnee. Oder Descartes in Deutschland“)
Durs Grünbeins Gedicht hat die Abhängigkeit unserer Wahrnehmung der Welt von unserem Körper mit seinen Sinnesorganen zum Gegenstand. Aber was ist, wenn das, was dieser Körper von der Welt erzählt, trotz intakter Struktur unverständlich ist, missverständlich, verborgen, in einer Sprache, die ich nicht verstehe, die kaum zu entschlüsseln ist? Mit den somatoformen und dissoziativen Störungen betreten wir einen Bereich der Psychotherapie, der verworren und widersprüchlich ist. Eine Gegend von teilweise undurchdringlichem Dickicht, in dem es sich manchmal auch bedrohlich anfühlen kann. Die Beschilderung schon ist verwirrend: Es gibt eine Fülle von Begriffen – Hysterie, Konversionsstörungen, dissoziative Störungen, funktionelle Störungen, Somatisierung etc., die ähnliches meinen und nur sehr unscharf voneinander abzugrenzen sind. Gleichzeitig ist die Arbeit mit Menschen, die somatoforme oder dissoziative Symptome zeigen, eine sehr spannende Angelegenheit. Damit zu beginnen, der Sprache ihrer Körper zuzuhören und zu lernen, ihren Sinn zu verstehen, Patientinnen und Patienten sozusagen dabei zu begleiten, die Schlüssel zu ihrer Seele zu fnden, ist mit das persönlichste und spannendste Betätigungsfeld der gesamten Psychotherapie.
Essstörungen
Dieses Kapitel informiert über die Diagnosen von Essstörungen und über Behandlungsansätze aus systemischer Sicht. Zum Ende des Kapitels können die beschriebenen Essstörungen erkannt werden und man kann entscheiden, welches Setting für eine/n Betroffene/n indiziert wäre. Für Therapeut:innen ist es wünschenswert, dass sie die Besonderheiten der verschiedenen systemischen Ansätze bei den drei häufigsten Essstörungen kennen und für sich entscheiden können, welcher Ansatz – oder welche Kombination – am besten zu ihnen selbst und den Betroffenen passt. Diese Ansätze oder auch Techniken sollten geübt werden. Wir halten die Einübung von Techniken (auch im Rollenspiel) und das Abstimmen von Ansätzen mit der eigenen Persönlichkeit für wichtig („Was glaube ich selbst? Was kann ich gut formulieren? Was sind meine eigenen Metaphern?“). Genauso wichtig ist der Abgleich der eigenen Hypothesen mit den Betroffenen und Familien – und das Verwerfen der eigenen Hypothesen, wenn sie nicht passen. Wir sehen den Einbezug des Systems und der Familie in die Behandlung von Essstörungen als grundlegend und notwendig. Wir sehen aber auch, dass weitere Therapiebestandteile nötig sein können – über das systemische Arbeiten hinaus – um Heilung zu erreichen. Diese Kapitel bietet einen ersten Einblick und soll die interessierten Leser:innen dazu einladen, sich auch vertiefend mit diesem Thema zu beschäftigen.
Systemische Sexualtherapie – Über Lust und Unlust, sexuelles Begehren und Wachstum
In diesem Kapitel möchte ich vorstellen, wie systemisch Therapierende auf sexuelle Schwierigkeiten schauen, wie sie sie einordnen, als Ressource begreifen und mit welcher Haltung sie Anregungsbedingungen schaffen möchten, damit Klientinnen und Klienten aus der Überstabilität und damit Festgefahrenheit bisheriger Problembeschreibungen und Lösungsversuche heraustreten und Neues ausprobieren können. Die eingestreuten Fallbeispiele und Interventionen ermöglichen es, den Transfer in die Praxis herzustellen.
Persönlichkeitsstörungen
In früheren Lehrbüchern der Systemischen Therapie lässt sich der Begriff der Persönlichkeitsstörung nicht finden, erscheint er doch geradezu paradox zum konstruktivistischen Modell der Systemtheorie, welche psychopathologische Diagnosen als verfestigte Zuschreibungen gänzlich infrage stellt.
Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
Die Wahrscheinlichkeit, dass die geschätzten Lesenden mit den Störungen aus diesem Kapitel konfrontiert werden, liegt bei annähernd 100 %. Es handelt sich um die häufgste Diagnose aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen/- psychotherapeutischen Feld – gleichzeitig ist der Titel aus unserer Sicht eher schwammig und daher sehr breit aufgestellt. Losgelöst davon treten die Symptome aus diesem Störungskomplex häufg als Komorbiditäten anderer Diagnosen auf. Es geht kein Weg dran vorbei.
Bindungsstörungen
„Zisch’ ab“, sagt er zu mir, und als ich mich abwende und einen Schritt zurückgehe, „nein – komm’ wieder her: Ich will mit dir spielen!“ Ich drehe mich ihm wieder zu und gehe zwei Schritte, da ruft er: „Nein, zisch’ ab, ich will mit dir nichts zu tun haben!“ und als ich mich wegdrehe, kommt er mir nach und sagt: „Komm her zu mir, ich will, dass du da bist.“ Er ist etwa sieben Jahre alt und Patient auf einer kinderpsychiatrischen Station, ich bin als Assistenzärztin in meinem ersten Jahr „seine“ Therapeutin. Über Wochen spielen wir in unseren gemeinsamen Stunden dieses, wie er es nennt, „Zisch-ab“-Spiel, in vielen Variationen.