Psychopathologie (5. Aufl., 2021)
ISBN
978-3-662-63573-5

Inhalt


 

Kapitel 1: Grundlagen


Beobachtung und Beurteilung geistig-seelischer Auffälligkeiten waren in vorwissenschaftlicher Zeit Gegenstand der Metaphysik. Zur systematischen Erforschung und Beschreibung psychischer Abnormitäten kam es erst mit Etablierung der experimentellen Psychologie, klinischen Psychiatrie und Hirnforschung im 19. Jhd. Als grenzüberschreitendes Fach der Humanwissenschaften umfasst „Psychopathologie“ Begriffsklärungen, Ausdifferenzierungen und Zuordnungen von gestörten psychischen Eigenschaften und Funktionen, angefangen von der genaueren Identifizierung einzelner Symptome bis hin zu komplexen Persönlichkeitsbesonderheiten samt interaktionellen Auswirkungen und Verlaufseigentümlichkeiten. Wesentliche Erkenntnisse zu den neurobiologischen Grundlagen liefern die Neurowissenschaften. Als Richtschnur gilt das WHO-Krankheitskonzept, repräsentiert in den modernen Klassifikationssystemen, die allerdings an den jeweiligen sozioökonomischen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen justiert werden müssen.

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Kapitel 2: Untersuchungsmethoden


Erfassen und Registrieren psychischer Störungen – notwendige diagnostische Schritte vor jeder therapeutischen Intervention – beruhen in erster Linie auf dem sprachlichen Austausch zwischen Untersucher und Patienten. Die stets begleitende, nonverbale Kommunikation über das Ausdrucksverhalten bestätigt üblicherweise die gewonnenen Informationen, die selbstkritisch zu reflektieren und notfalls zu kontrollieren sind. Mithilfe testpsychologischer Verfahren können die gewonnenen Angaben präzisiert oder ergänzt werden, was vor allem zur Überprüfung kognitiver Potenziale und zu forensischen Zwecken notwendig werden kann. Aus der Synopsis aller Daten einschließlich körperlicher bzw. apparativer Befunde wird die Arbeitshypothese einer (vorläufigen) Diagnose als Basis einer therapeutischen Strategie erstellt. Die nosologische Zuordnung erfolgt sodann anhand der gängigen Klassifikationssysteme. Die Beobachtung des weiteren Verlaufs dient der Therapiekontrolle.

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Kapitel 3: Bewusstsein. Wahrnehmung


Das Wachbewusstsein ist die notwendige Grundvoraussetzung für eine unbeeinträchtigte Perzeption interner und externer Sinnesreize, deren Intensität und Nachhaltigkeit vom jeweiligen Grad der Wachheit mitgeformt werden. Unterhalb der Bewusstseinsschwelle ablaufende psychische Vorgänge, werden nicht bewusst wahrgenommen, allerdings hirnphysiologisch registriert. Angemessenes Denken und Handeln werden somit durch situationsadäquate, ungestörte Empfindungen und Wahrnehmungen der inneren und äußeren Welt ermöglicht; umgekehrt können deren pathologisch bedingte Verzerrungen oder Verfälschungen zu erheblichen Verkennungen, Falschbewertungen und Fehlhandlungen führen. Besonders ausgeprägte Veränderungen der Denkvorgänge und Wahrnehmungserlebnisse finden sich im psychotischen Erleben oder unter dem Einfluss psychotroper Substanzen, meist in Verbindung mit wahnhaften Ideen oder in Form paranoid-halluzinatorischer Symptome.

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Kapitel 4: Antrieb. Steuerung. Motorik


Zur Realisierung körperlicher und psychischer Aktivitäten ist eine elementare Triebkraft erforderlich, die in den zellulären Energiespeichern des Organismus bereitgestellt wird. Sie dient in erster Linie der Reiz-Reaktions-Balance, d. h. dem Ausgleich zwischen individuellen Bedürfnissen und deren Befriedigung. Je nach Veranlagung, Anregbarkeit, Motivation, Interessen und Willen kann das Antriebsverhalten unterschiedlich stark bzw. wechselhaft ausgeprägt sein; es reicht aus psychopathologischer Sicht von teilnahmsloser Apathie und Reglosigkeit bis hin zur Unruhe, Umtriebigkeit und Erregtheit, wobei die krankhaften Veränderungen im Bereich der beiden Extreme zu verorten sind. Die zur Verhaltensregulierung notwendigen Zügel der Steuerung und Selbstkontrolle können zudem überstraff oder gelockert sein, sodass bei spürbareren Auslenkungen ebenfalls soziale Probleme entstehen können; Beispiele sind einerseits Impulskontrollstörungen (ADHS), andererseits zwanghafte Verhaltensweisen.

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Kapitel 5: Emotionalität


Obgleich Gefühle – Anmutungen, Empfindungen, Affekte und Stimmungen – als Bestandteile des Gemütslebens mehr oder weniger sämtliche psychischen und psychomotorischen Funktionsbereiche untrennbar begleiten, werden sie unter der Rubrik „Emotionalität“ vom Bereich der Kognitionen („Denken“) unterschieden. Hirnbiologisch sind sie in den phylogenetisch älteren, dienzephalen Hirnarealen (Thalamus, Hypothalamus, Hypophyse), im limbischen System und in der Amygdala zu verorten, da sie für die Evolution überlebenswichtige Bausteine der Instinkte (Einschätzung, Handlungsbereitschaft, Reaktion) und der nonverbalen Kommunikation darstellen. Der Mensch ist mit sieben Grundgefühlen (Basisemotionen) ausgestattet, die durch psychotrope Substanzen (z. B. Rauschmittel) unterschiedlich verändert werden können. Bei unangemessen intensiver bzw. langer Ausprägung oder spürbarer Instabilität erhalten Gefühlszustände psychopathologische Relevanz, die jeweils kontextuell zu bewerten und einzuordnen sind.

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Kapitel 6: Aufmerksamkeit. Lernen. Gedächtnis


Aufnahme, (selektives) Speichern und Reproduzieren von wahrgenommenen Objekten und Situationen sowie eigenen Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen kennzeichnet das Potenzial der lebenswichtigen Gedächtnisleistungen. Seine enorme Effizienz beruht einerseits auf einer im Gehirn topografisch dezentralisierten, modularen Arbeitsteilung, andererseits auf einem Netzwerk von unzähligen gegenseitigen Verschaltungen, die in Abhängigkeit von der individuellen Bedeutung und der emotionalen Tönung sowie von der Inanspruchnahme bestimmter Engramme (z. B. beim Auswendiglernen) wechselnd aktiv sind. Pathologisch bedingte, dauerhafte Beeinträchtigungen der qualitativen und/oder quantitativen mnestischen Leistungsfähigkeit in Form von Gedächtnislücken oder Erinnerungsverfälschungen haben schwerwiegende Folgen hinsichtlich des Ich-Bewusstseins, der Sozialisation und Lebensqualität, der gesamten Lebensgestaltung überhaupt.

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Kapitel 7: Denken. Intelligenz


Das intellektuelle Leistungsvermögen des Menschen erfuhr durch anpassungsbedingtes, permanentes Lernen und Üben im Laufe der Evolution – parallel zur Volumenzunahme der Großhirnrinde – im Vergleich zu allen anderen psychischen Fähigkeiten einen besonders immensen Zuwachs. Dies wirkte sich quantitativ wie qualitativ auch auf die Denkprozesse und mit ihr verknüpften Vorstellungen, Fantasien, Erkenntnisse und Einsichten als hauptsächliche Merkmale von Intelligenz aus. Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen des Denkens und verwandter mentaler bzw. kognitiver Funktionen in Form zusammenhanglos-diskontinuierlicher, deformierter Abläufe oder irrationaler, unzutreffender Inhalte können daher nicht nur die Bewältigung bereits alltäglicher Aufgaben erschweren, sondern darüber hinaus in Abhängigkeit von Art und Ausmaß der Defizite global die Organisation der Lebensbewältigung und -gestaltung erheblich mindern.

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Kapitel 8: Gesamtpersönlichkeit


Je mehr sich psychische Elementarfunktionen zu komplexen (und somit vulnerableren) Potenzialen organisieren, desto vielfältiger sind die dadurch ermöglichten Erlebensweisen und Verhaltensmuster, aber auch eventuelle Irritationen und Abweichungen. Wenn dabei Intensität, Ausmaß und Dauer der Veränderungen spürbar die Lebensqualität einschließlich interaktioneller Kompetenzen einschränken, erhalten diese das Gewicht einer (mehr oder weniger behandlungsbedürftigen/therapierbaren) psychischen Erkrankung. Die Beeinträchtigungen können sich mit unterschiedlicher Auswirkung auf alle Bereiche der Betroffenen von umschriebenen exekutiven oder vegetativ-organischen Leistungseinbußen bis hin zur Persönlichkeitsänderung erstrecken. Sie erfordern daher unter Berücksichtigung sozialer Anforderungen, gesellschaftlicher Normen und kultureller Gepflogenheiten eine präzise Diagnostik samt Differenzierung zwischen (noch) angepasster Persönlichkeitsvariante und (schon) krankheitswertiger Symptomatik.

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